Aktuelle Gedanken über das Glück


| 26.08.2025 |

Die Ferien liegen bald in weiter Ferne, die Urlaubszeit naht ihrem Ende. Österreich erwacht langsam aber sicher wieder aus dem Sommerschlaf, in dem sich das Land standardmäßig ab Mitte Mai befindet.


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Dieser leichte schöne Dämmerschlaf, der im Sommer nur hin und wieder etwas unterbrochen wird um dann wieder den Traum weiterzuträumen, bis ab Mitte September wieder soetwas wie ein leiser Anflug von reger Betriebssamkeit sich entwickelt.

Dieser leiser Übergang von den Vorboten geschickt durch den Frühlingsbeginn – dem Blühen der Blumen und dem Wachsen der Gräser – hin zu den heißen schweren Sommersonnentagen, die einen müde werden lassen und träge. Die einem lehren, dass die Welt sich weiterdreht auch wenn man dem Nichts-Tun fröhnt.

Nun denn – auf zu neuen Ufern flüstert der Herbst-Beginn. Der Sommer war nicht ganz so warm und lau wie wir ihn uns gewünscht hatten. Von vielen heißen Tagen und dann vielen kalten Tagen mit Regenschauern und Wind durchzogen, brachte er viele Menschen zum Nachdenken.


🌍✈️ Reise nach Namibia

Da ich dieses Jahr das Glück hatte vor Beginn des Sommers ausnahmsweise das erste Mal in meinem Leben für länger als 10 Tage Zeit auf meinem absoluten Lieblingskontinent zu verbringen und für 24 Tage durch Namibia mit dem Auto zu touren – entging ich wohl der heißesten Zeit zuhause. Die Reise durch Namibia – 5.300 km – in den Norden an die Grenze Angolas, in den Osten an die Grenze zu Südafrika, in den Süden und in den Westen an das Meer – hinterließ in meinem Kopf, in meinem Herzen und in meinem Fühlen deutliche Spuren. Es war wohl das erste mal in meinem Leben, dass ich mich derart frei fühlte und derart aufgeladen zurückkam. Das erste Mal auch seit langer Zeit, dass ich endlich wieder Land und auch einen Lichtblick sah.

Um die Eindrücke aus Namibia, die Lichtblicke und mein Bauchgefühl soll es in dem jetzigen Blogbeitrag gehen.


Eine Begegnung, die mich nachhaltig in meinem tiefsten Inneren bewegt und verändert hat, war unser Ausflug zu den Epupa Falls im nördlichsten Zipfel von Namibia – an der Grenze zu Angola. Die Fahrt dorthin war bereits ein Abenteuer für sich. Alleine diese zu beschreiben würde viel Platz und Information einnehmen. Denn die Straßen in Namibia sind zwar grundsätzlich menschenleer und man ist lange Zeit sehr einsam unterwegs, viele davon sind auch wirklich gut befahrbar – aber der Großteil der Straßen sind Schotterpisten. Diese sind grundsätzlich oft auch sehr gut erhalten und oft besser befahrbar als so manche österreichischen asphaltierten Straßen, die rumpeliger sind – aber einige sind auch sehr spannend. So denn auch diese Reise in den Norden. Von jetzt auf gleich endete an der Ortsgrenze der asphaltierte Teil und Google Maps informierte uns darüber, dass wir für die restlichen 187km 3 Stunden unterwegs sein würden. Es ging über Steine, ausgetrocknete Flussbette, durch Sand vorbei an vielen Himba-Dörfern. Die Himbas sind eine der vielen Ethnien, die in Namibia beheimatet sind.

Anders als bei uns leben in Namibia in Summe 13 verschiedene Ethnien in einem Staat. Jede dieser Ethnien hat seine eigene Sprache, seine eigene Kultur und seine eigenen Traditionen. Anders als viele anderen afrikanischen Staaten gibt es in Namibia keinerlei Rassenkämpfe oder Kriege zwischen den Kulturen. Man lässt sich leben, so wie man ist. In der Kolonialzeit war das freilich anders und der weiße Mensch war natürlich ebenso für diese Gegend prägend – was Bauten, Stile und auch die Sprache betroffen hat. Die offizielle Amtssprache ist Englisch aber diese wird nicht von allen gesprochen. Neben Englisch existieren von allen 13 Ethnien auch deren eigenen Sprachen bzw. Dialekte der Hauptsprachen.

Aber zurück zur Reise.🧳


Die Fahrt vorbei an Himba Dörfern hört sich nun im ersten mal nach malerischer Reise an. Man stellt sich vor an diesen Dörfern vorbeizufahren und malerische Szenerien zu sehen.

Was man tatsächlich sieht: Menschen in allen Altersschichten – barfuß die Ziegen und Schafe hütend am Straßenrand. Kinder die barfuß über die Steine laufen als wäre es ein weicher Teppich in der eigenen Wohnung. Hütten, die – wenn man sie das erste mal sieht – eher an Slums erinnern als an Behausung. Aber tatsächlich bereits luxuriös zu nennen sind für Menschen, die sich eben 4 Wände leisten können – Menschen, die sich das nicht leisten können, schlafen direkt daneben in kleinen Iglu-Zelten, die – im Winter – mit Plastikmaterialien abgedämmt werden, gegen die klirrende beißende Kälter in der Nacht.

Während der Fahrt zwischen Epupa und der letzten befestigten Stadt lagen also 187km. Daneben viele ursprüngliche Dörfer. Und auf dem Weg dorthin fuhren wir an vielen Menschen vorbei, die auf der Straße zu Fuß in ihren besten Kleidern auf dem Weg zur Stadt oder zum nächsten Dorf oder zur nächsten Arbeit waren.

Als wir am Ziel angekommen waren, war die Schotterpiste dann aber aus. Wir fuhren über Geröll und sehr spitze große Steine mit unserem Auto Wegweisern nach, die auf ein Blech geschrieben waren. Quer durch ein Dorf, das aus Blechhütten bestand und standen am Ende bei unserem Camp.

Als gelernter, verwöhnter und nur von Bildern aus den Medien geprägter Europäer mit einem gewissen Hang zur Abenteuerlust – war allein eben diese Fahrt und auch die Ankunft schon hart an der Grenze dessen, was man als angenehm empfinden mag. Alleine auf der Fahrt zu dieser Unterkunft wurden gefühlt alle Glaubenssätze, Bilder, Eindrücke, Meinungen, vorgefasste Ideen, Geschichten und Ängste hervorgerufen, die man sich nur so vorstellen kann. Alles was man irgendwann mal gehört hatte, erzählt bekommen hatte und eventuell auch im Fernsehen, in den sozialen Medien gesehen hatte, kam einem ins Gedächtnis und befeuerte das Kopfkino. Der Parkplatz – eine Sandbank – hinter einem aus Holz gezimmerten Palisadenzaun ohne Tor – der Ankunftsort. Dahinter die Wellblech-Siedlung. Und das Gefühl am Ende der Welt angekommen zu sein.



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Die Begrüßung in der Unterkunft als die einzigen Gäste in den nächsten 2 Nächten und die Unterkunft, die aus einem Zelt mit Bett bestand, Dusche im Freien – taten ihr Übriges.

Und wieder die Masse an Eindrücken. Die Einfachheit der Behausung. Das Fehlen aller „notwendigen“ Sicherheitsvorrichtungen. Keine Alarmanlage (hätte niemanden dort interessiert). Kein Krankenhaus, das unseren Maßstäben entsprochen hätte (es gab eine Hütte auf der Krankenhaus stand – aber dort hätte ich glaub ich nie hineingehen wollen). Menschen, bei denen man nicht wusste, gut oder böse. Und wir mitten drin.

Der Ausblick dafür idyllischer wäre es kaum möglich gewesen – der Fluss (Grenzfluss Kuene) direkt vor dem Zelt und das Abendessen direkt am Fluss im Sonnenuntergang sitzend.🌅


Der krasse Widerspruch zu allem entstand dann tatsächlich beim Essen. Es gab ein 4 Gänge Menü – extra für uns als einzige Gäste zubereitet. Wie sich dann später herausstellen sollte, von Personal, das in dem Dorf hinter uns in den Wellblechhütten ohne fließendem Wasser schlief und extra nur wegen den 3 Lodges, die am Fluss gebaut worden waren, dorthin pilgerten. Um zu arbeiten und Geld zu verdienen.

Mein einziger Gedanke beim Essen – welches vorzüglichst duftete und schmeckte – ich hoffe, ihr dürft euch davon etwas mit nach Hause nehmen und ich hoffe, ihr könnt davon auch etwas essen. Ich habe nicht gefragt, aber vermutlich hätte ich es tun sollen. Ich hatte allerdings Angst vor der Antwort.

Beim Frühstück wurden wir Zeuge davon, wie extra eine Person aus dem Dorf engagiert wurde, der nur dafür da war mit einer Steinschleuder die Affen vom Frühstück und uns Touristen fern zu halten.

In der Nähe unserer Unterkunft war der Wasserfall wegen dem wir eigentlich gekommen waren, allerdings musste man durch das Dorf durchgehen. Ich erinnere nochmal – das waren Blechhütten, einfachster Art auf einem Geröllhaufen. Mit Straßen die man nur erkennen konnte, wenn man schon etwas geübter war. Der Weg hin zum Wasserfall – war mit einem sehr mulmigen Gefühl. Als ob sofort irgendwo jemand darauf warten würde, dass wir dort vorbei kamen. Natürlich passierte nichts. Auch nicht beim Rückweg. Obwohl wir eine Abkürzung nahmen und jemand mit einer Machete unseren Weg kreuzte.

Die Ängste, die Gedanken, die vorgefertigten Stereotype in unseren Köpfen spielten durchaus verrückt. Und dennoch – Mitten drin in allem – begegneten wir Menschen, die uns und im speziellen mich nachhaltig bewegt haben.


Beim Wasserfall – während die Touristen beim Wasserfall standen und ein Foto nach dem anderen machten – bei einem kleinen natürlichen Becken, saß eine Frau mit einem Baby am Rücken und wusch die Wäsche mit der Hand. Stück für Stück. Im Sonnenuntergang sitzend. Der Blick war auf das Tun gerichtet, gottergeben ohne jeglichem Schnickschnack. Ohne jeglichem So-tun-als-ob. Das Gesicht, der Ausdruck in ihren Augen geprägt von ihrem Leben. Aber dennoch eine Erhabenheit in ihrem Sein. Es war an dem Abend nicht das erste Mal in dieser Zeit dort oben im Norden, in der ich mich fragte, was tun wir hier im „Westen“ eigentlich. Beim Rückweg trafen wir dann auf die kleine Familie unserer Kellnerin im Camp. Strahlend. 5 Ladies mit Blicken so lebendig und voller Lebenslust – dass man sich selbst nur fragen kann, wo ist das bei uns hingekommen.

Die ganze Zeit dort oben und auch heute noch – während ich das hier schreibe – waren diese Gedanken in meinem Kopf:

  • Was tun wir hier eigentlich?
  • Es scheint sie haben nichts und dennoch haben sie alles.
  • Warum meinen wir, dass wir der Welt einen Gefallen tun, wenn wir so leben wie wir leben?
  • Wieso meinen wir, zu wissen, was für einen anderen gut ist?
  • Wie komme ich dazu, mir das Recht heraus zu nehmen jemandem anderen sagen zu wollen, wie er zu leben, zu fühlen, zu denken, zu glauben, zu sprechen hat?

Und wie einfacher wäre eventuell unsere Welt, wenn wir auf vieles, das wir haben verzichten würden.


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Gleichzeitig während ich den letzten Gedanken aufgeschrieben hatte – kam jetzt die Erinnerung an eine andere Diskussion hoch, die ich kurz vor meiner Reise in den sozialen Medien hatte. Und ich gebe zu, ich habe sie angestoßen und war der Auslöser dafür. Aber dennoch, hat mich diese Diskussion ebenfalls nachhaltig zum Nachdenken gebracht.

Das Thema dabei war das derzeitige allumspannende Thema Frauen vs. Männer. Und dass Männer ja eigentlich sowieso einfach im Weg sind. Das ist in meinen Augen die Zusammenfassung aller Diskussionen vor dem Hintergrund, dass Frauen meinen, dass sie die besseren Menschen sind. Und auch ständig damit beschäftigt sind, das hervorzukehren – allerdings ohne die Konsequenzen aus ihrem Tun tragen zu wollen. In der Diskussion endete das dann in der Aussage einer Bekannten mir gegenüber, die ungefähr wie folgt formuliert war: Du hast das Recht so zu denken wie du denkst, und das ist auch total in Ordnung – immerhin wurdest du in einer patriarchalen Welt sozialisiert.

Dieser Satz traf mich mehr als ich mir im ersten anmerken lassen wollte. Und ich bin noch immer zutiefst über diese Aussage erschüttert. Denn im Umkehrschluss bedeutet er nichts anderes als dass auch aus Frauensicht es nur eine richtige Ordnung gibt und das ist die matriarchale Welt.

Nun bin ich vom Grund auf schon nicht so getaktet, dass ich der Meinung wäre, dass es nur schwarz und weiß gibt und entweder das eine oder das andere richtig ist. Egal welche Meinung man in welchem Zusammenhang vertreten mag, es gibt bei jeder Diskussion Grautöne und niemand hat tatsächlich jemals Recht.

Die Frage ist ja nur, wann hat sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten so gewandelt, dass es nur noch entweder schwarz oder weiß, gut oder böse, jung oder alt, männlich oder weiblich, links oder rechts geben darf? Wann hat die Gesellschaft beschlossen, dass Dekadenz – in diesem Zusammenhang das Bestimmen darüber, welcher die richtige Lebensweise gefunden hat – die einzige Form ist, die Gesellschaft zu einem besseren zu entwickeln.

Und was bedeutet diese Entwicklung für die Entwicklung unserer Gesellschaft.


In der Wiege der Menschheit – in Afrika – back to the roots – im Angesicht dessen um was es im Leben eigentlich wirklich geht – das Gefühl zu Leben und dieses Gefühl in jeder Pore seines Seins zu spüren wurde mir bewusst, dass wir aufwachen sollten. Im Leben. Im Sein. Im Glauben. In der Verbundenheit. Im Miteinander.

Auch wenn Frauen es nicht gerne hören wollen, es gibt die Gesetze der Natur und diese sind für alle Lebewesen auf dieser Erde gleich. Diese gilt es in erster Linie zu beachten zu achten, zu respektieren. Und dafür braucht es keine Verbote und keine Gesetze. Dafür braucht es kein Männerbashing und keinen Genderwahn sondern nur den natürlichen Umgang mit Menschen. Mit allen Menschen. Und mit allen Lebewesen. So wie Gott sie gemeint hat.

Und es gibt auch in jedem Handeln Konsequenzen. Die Frage was könnte irgendwas dort oben in Epupa das Leben verbessern? Eine Waschmaschine? Fließendes Wasser? Medizinische Versorgung? Was könnte man dort hinbringen um das Leben zu verbessern? Die Antwort ist schlicht und ergreifend – eigentlich gar nichts. Das Leben ist hart dort oben. Aber nicht zum Verzweifeln. Nicht zum Davonlaufen. Nicht zum Sterben schlimm. Das Leben ist das Leben. So wie es ist.

Der Preis, den die Einheimischen zahlen, dafür so zu werden wie wir – sahen wir bei unsere Rückfahrt in den Süden. Richtung Touristenhotspots. Je „zivilisierter“ es wurde, je „westlicher“ es wurde, desto mehr verblasste der Ausdruck in den Augen. Desto mehr verblasste das Leben in den Menschen. Desto westlicher und kommerzieller wurde alles.

Und das ist der wahre Preis – den wir für unseren „Wohlstand“ zahlen. Denn jeder zahlt immer einen Preis. Der wahre Preis ist, dass das Lachen unserer Augen, das Funkeln in unseren Seelen, dem immerwährenden Durst Platz macht, immer mehr haben zu wollen, zu müssen und zu bekommen. Sei es in Geld, in der Wirtschaft, in Partnerschaften, im Männlichen oder Weiblichen, im Recht haben, im Recht bekommen, in Süchten – um dieses Leuchten wieder zu finden und zu erlangen.

Und diese Gedanken bringen mich zu einer Geschichte, die ich vor langer Zeit in einem YouTube Video von Christian Bischoff gehört hatte und jetzt wieder gefunden hatte. Und wie ich in der Recherche jetzt gesehen habe, wurde die Geschichte gedruckt im Buch “Komm, ich erzähl dir eine Geschichte” von Jorge Bucay (Fischer, 1. Edition, 1. September 2011)

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Der Titel der Geschichte: Der Kreis der 99

„Es war einmal ein sehr unglücklicher König, der hatte einen Diener, der wie alle Diener von unglücklichen Königen sehr glücklich war. Jeden Morgen weckte er den König, brachte ihm das Frühstück und summte dabei fröhliche Spielmannslieder. In seinem Gesicht zeichnete sich ein breites Lächeln ab und seine Ausstrahlung war stets heiter und positiv.

Eines Tages schickte der König nach ihm.

“Page”, sagte er. “Was ist dein Geheimnis?”

“Mein Geheimnis, Majestät?”

“Was ist das Geheimnis deiner Fröhlichkeit?”

“Da gibt es kein Geheimnis, Majestät.”

“Lüg mich nicht an, Page. Ich habe schon Köpfe abschlagen lassen für weniger als eine Lüge.”

“Ich belüge Euch nicht, Majestät. Ich habe kein Geheimnis.”

“Warum bist du immer fröhlich und glücklich? Hm, sag mir, warum?”

“Herr, ich habe keinen Grund, traurig zu sein. Eure Majestät erweist mir die Ehre, Euch dienen zu können. Ich lebe mit meinem Weib und meinen Kindern in einem Haus, das uns der Hof zugeteilt hat. Man kleidet und nährt uns und manchmal, Majestät, gebt ihr mir die ein oder andere Münze, damit ich mir etwas Besonderes leisten kann. Wie sollte ich da nicht glücklich sein?”

“Wenn du mir nicht gleich dein Geheimnis verrätst, lass ich dich enthaupten”, sagte der König. “Niemand kann aus solchen Gründen glücklich sein.”

“Aber Majestät, es gibt kein Geheimnis. Wie gern wäre ich Euch zu Gefallen, aber ich verheimliche nichts.”

“Geh, bevor ich den Henker rufen lasse!”

Der Diener lächelte, macht eine Verbeugung und verließ den Raum. Der König war völlig außer sich. Er konnte sich einfach nicht erklären, wie dieser Page so glücklich sein konnte, der sich als Leibeigener verdingen musste, alte Kleidung auftrug und sich von dem ernährte, was von der königlichen Tafel übrigblieb. Als er sich beruhigt hatte, rief er den weisesten seiner Berater zu sich und berichtete ihm von dem Gespräch, das er an diesem Morgen geführt hatte.

“Warum ist dieser Mensch glücklich?”

“Majestät, er befindet sich außerhalb des Kreises?”

“Außerhalb des Kreises?”

“So ist es.”

“Und das macht ihn glücklich?”

“Nein, mein Herr. Das ist das, was ihn nicht unglücklich sein lässt.”

“Begreife ich das recht: Im Kreis zu sein macht einen unglücklich?”

“So ist es.”

“Und er ist es nicht.”

“So ist es.”

“Und wie ist er da wieder rausgekommen?”

“Er ist niemals eingetreten.”

“Was ist das für ein Kreis?”

“Der Kreis der Neunundneunzig.”

“Ich verstehe nicht.”

“Das kann ich nur an einem praktischen Beispiel erklären.”

“Wie das?”

“Lass deinen Pagen in den Kreis eintreten.”

“Ja, zwingen wir ihn zum Eintritt.”

“Nein, Majestät. Niemand kann dazu gezwungen werden in den Kreis einzutreten.”

“Also muss man ihn überlisten.”

“Das ist nicht nötig, Majestät. Wenn wir ihm die Möglichkeit dazu geben, wird er ganz von selbst eintreten.”

“Aber er merkt nicht, dass er sich dadurch in einen unglücklichen Menschen verwandelt?”

“Doch, er wird es merken.”

“Dann wird er nicht eintreten.”

“Er kann gar nicht anders.”

“Du behauptest, er merkt, wie unglücklich es ihn macht, in diesen albernen Kreis einzutreten und trotzdem tut er es und es gibt keinen Weg zurück?”

“So ist es, Majestät. Bist du bereit, einen ausgezeichneten Diener zu verlieren, um die Natur dieses Kreises zu begreifen?”

“Ja, ich bin bereit.”

“Gut. Heute Nacht werde ich kommen und dich abholen. Du musst einen Lederbeutel mit neunundneunzig Goldstücken bereithalten. Neunundneunzig, keins mehr, keins weniger.”

“Was noch? Soll ich meine Leibwächter mitnehmen für den Fall, dass…?”

“Nur den Lederbeutel. Bis heute Nacht, Majestät.”

“Bis heute Nacht.”

Und so geschah es. In dieser Nacht holte der Weise den König ab. Gemeinsam verließen sie unerkannt den Hof und versteckten sich in der Nähe des Hauses des Pagen. Dort warteten sie auf den Tagesanbruch. Im Haus wurde die erste Kerze angezündet. Der Weise steckte einen Zettel in den Beutel, auf dem stand:

“Dieser Schatz gehört Dir. Es ist die Belohnung dafür, dass Du ein guter Mensch bist. Genieße ihn und sag niemandem, wie Du an ihn gelangt bist.”

Dann band er den Beutel an die Haustür des Dieners, klopfte und versteckte sich wieder. Der Page kam heraus und von ihrem Versteck im Gebüsch aus beobachteten der Weise und der König das weitere Geschehen. Der Bedienstete öffnete den Beutel, las die Nachricht, schüttelte den Sack und als er das metallische Geräusch aus seinem Inneren vernahm, zuckte er zusammen, drückte den Schatz an seine Brust, sah sich um, ob ihn auch niemand beobachtete und ging ins Haus zurück. Von draußen hörte man, wie der Diener die Tür verriegelte und so näherten die Spione sich dem Fenster, um die Szene zu beobachten.

Der Diener hatte alles, was sich auf dem Tisch befand mit einem Handstreich auf den Boden gewischt, bis auf eine Kerze. Er hatte sich hingesetzt, den Inhalt des Beutels auf den Tisch geleert und traute seinen Augen kaum. Es war ein Berg an Goldmünzen! Er, der in seinem ganzen Leben auch nicht eine einzige verdient hatte, besaß nun einen ganzen Berg davon. Er berührte und er häufte sie. Er streichelte sie und betrachtete sie im Widerschein der Kerze. Er strich sie zusammen und verteilte sie wieder auf dem Tisch, um sie danach zu Säulen aufzustapeln.

So vergnügte er sich mit seinem Schatz bis er schließlich begann, Häuflein zu zehn Münzen zu machen. Ein Zehnerhaufen, zwei Zehnerhaufen, drei Zehnerhaufen, vier, fünf, sechs … Er zählte sie zusammen: zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig … Bis zum letzten Häuflein, das nur aus neun Münzen bestand! Zunächst suchten seine Augen den Tisch ab, in der Hoffnung, die fehlende Münze zu finden. Dann schaute er auf den Boden und schließlich in den Beutel.

“Das ist unmöglich.” dachte er. Er schob den letzten Haufen neben die anderen und tatsächlich, er war kleiner.

“Man hat mich beraubt”, schrie er. “Man hat mich beraubt! Das ist Diebstahl!”

Wieder schweifte sein Blick über den Tisch, über den Boden, in den Beutel, in seine Kleider, in seine Taschen, unter die Möbel … Aber die gesuchte Münze blieb verschollen. Wie um ihn zu foppen, funkelte auf dem Tisch ein Haufen Goldstücke und erinnerte ihn daran, dass es nur neunundneunzig waren. Nur neunundneunzig.

“Neunundneunzig Münzen. Das ist eine Menge Geld”, dachte er. “Aber ein Goldstück fehlt. Neunundneunzig ist keine runde Zahl. Hundert ist rund, doch nicht neunundneunzig.”

Der König und sein Ratgeber spähten zum Fenster hinein. Das Gesicht des Pagen hatte sich verändert. Seine Stirn lag in Falten, die Miene war angespannt. Die Augen hatte er zu Schlitzen gepresst und um seinen Mund spielte ein verzerrtes Lächeln. Der Diener steckte die Münzen in den Beutel zurück, vergewisserte sich, dass ihn niemand im Haus beobachtete und versteckte den Beutel zwischen der Wäsche. Dann nahm er Papier und Feder und setzte sich an den Tisch, um eine Rechnung aufzustellen. Wie lange musste er sparen, um Goldstück Nummer hundert zu bekommen?

Der Diener führte Selbstgespräche. Er war bereit, hart dafür zu arbeiten. Danach würde er womöglich niemals wieder etwas tun müssen. Mit hundert Goldstücken konnte man aufhören zu arbeiten. Mit hundert Goldstücken ist man reich. Mit hundert Goldstücken kann man ein ruhiges Leben führen. Er beendete seine Berechnungen. Wenn er hart arbeitete und sein Gehalt und etwaige Trinkgelder sparte, konnte er in elf oder zwölf Jahren genügend für ein weiteres Goldstück beisammen haben.

“Zwölf Jahre sind eine lange Zeit.”, dachte er.

Vielleicht konnte er seine Frau überreden, sich für eine Weile im Dorf zu verdingen. Und er arbeitete schließlich nur bis um fünf Uhr im Palast. Nachts konnte er noch etwas hinzuverdienen. Er überlegte: Wenn man seine Arbeit im Dorf und die seiner Ehefrau zusammen rechnete, konnten sie in sieben Jahren das Geld beieinander haben. Das war zu lang.

Vielleicht konnte er das Essen, das ihnen übrigblieb, ins Dorf bringen und es für ein paar Münzen verkaufen. Je weniger sie also essen würden, desto mehr könnten sie verdienen. Verdienen, verdienen. Es würde warm werden. Wozu brauchten sie so viel Winterkleidung? Wozu brauchte man mehr als ein Paar Hosen? Es war ein Opfer. Aber in vier Opferjahren hätten sie Goldstück Nummer hundert. Der König und der Weise kehrten in den Palast zurück.

Der Page war in den Kreis der Neunundneunzig eingetreten.

Während der kommenden zwei Monate verfolgte der Bedienstete seinen Plan genau, wie er ihn in jener Nacht entworfen hatte. Eines Morgens klopfte er übel gelaunt und gereizt an die Tür des königlichen Schlafzimmers.

“Was ist denn mit dir los?” fragte der König höflich.

“Mit mir? Gar nichts.”

“Früher hast du immer gesungen und gelacht.”

“Ich tue meine Arbeit, oder etwa nicht? Was wünschen Ihre Majestät? Soll ich Euch auch noch Hofnarr und Barde sein?”

Es dauerte nicht mehr allzu lang, da entließ der König den Diener. Er fand es so unangenehm, einen Pagen zu haben, der immer schlecht gelaunt war.


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Die wesentliche Frage – und damit schließt sich dann aber der Kreis zu einem Blogartikel, in den ich mich letztes Jahr selbst verliebt hatte – Genießen Sie Zeit ohne Luxus.

Denn bei allem Sinieren über das Leben an und für sich über Glück, über Zufriedenheit, das Lachen in den Augen – ist es im Endeffekt aber auch so:

Zeit ohne Luxus kann man nur dann schätzen und genießen, wenn man auf der anderen Seite Luxus hat.

Ein Armer wünscht sich nichts Sehnlicher als reich zu sein. Ein Reicher wünscht sich nichts Sehnlicher als Arm zu sein.

Und in diesem Kreis – in diesem Yin-Yang – bewegen wir uns Tag für Tag, Woche für Woche. Es gibt keine Sonne ohne Schatten und nach jedem Winter kommt unweigerlich wieder der Sommer.

Womit wir beim Anfang des Blogartikels wären – dem Sommerende. Dem nahenden Winter und der damit verbundenen doch harten tristen Zeit. In der Hoffnung, dass wir uns die Sonnenstrahlen aus dem Sommer mit in den Winter nehmen können. Die Erfahrungen aus dem Sommer für den Winter konservieren können und somit die Wärme, die Leichtigkeit und das Leben so wie das Glitzern in den Augen uns bis ins nächste Frühjahr erhalten können.

„Wie viele Dinge würden sich ändern, wenn wir unsere Schätze so genießen könnten, wie sie sind.“

– Der Dicke aus “Komm, ich erzähl dir eine Geschichte” von Jorge Bucay (Fischer, 1. Edition, 1. September 2011)


Ich wünsche einen schwungvollen Start in die neue Saison

mit viel Sonnenschein im Herzen und Elan im Tun. ☀️